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Weltwirtschaft: Ist das Glas halbvoll oder halbleer? (Es kommt auf die Perspektive an)

Marktanalyse 10.07.2023

BLICK AUF DIE FINANZMÄRKTE

10.07.2023

Bruno Cavalier – Chefökonom ODDO BHF

 

 

WESENTLICHE PUNKTE:

  • Seit über einem Jahr schwebt das Damoklesschwert einer Rezession über der Weltwirtschaft.
  • Steigende Zinsen, Inflationsschock, geopolitische Unsicherheiten – es kommt einiges zusammen.
  • Trotzdem erweist sich die Wirtschaft Mitte 2023 weiterhin als robust.
  • Dank niedriger Arbeitslosigkeit und hoher Gewinne absorbiert der Privatsektor die Schocks.
  • Die Risiken dürften in den kommenden Monaten dennoch weiter ansteigen.

Zu Beginn der zweiten Jahreshälfte 2023 lohnt sich ein kurzer Rückblick auf die wesentlichen wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen der letzten Monate, bevor wir einen Ausblick auf die wichtigsten Risiken für die globale Konjunktur im zweiten Halbjahr geben. 

Einige Entwicklungen waren größtenteils erwartbar, wie z. B. die fortgesetzte Inflationsbekämpfung durch die Notenbanken. So gut wie alle strafften ihre Geldpolitik in der ersten Jahreshälfte weiter, wenn auch etwas langsamer als im Vorjahr. Der Leitzins der EZB hat inzwischen fast den historischen Höchststand aus dem Jahr 2000 erreicht; derjenige der Fed befindet sich auf dem höchsten Niveau seit 2007. Null- und Negativzinsen gehören der Vergangenheit an.

Andere Ereignisse dagegen überraschten, vor allem der Bankenstress, der zum Zusammenbruch mehrerer mittelgroßer US-Institute und einer der größten Schweizer Banken führte. Einige Wochen lang stand zu befürchten, dass ein Dominoeffekt eintreten und das gesamte Bankensystem in Mitleidenschaft gezogen würde. Dies war jedoch schließlich nicht der Fall. Die europäischen Banken haben ihre Eigenkapitalquoten nach der Finanzkrise im Jahr 2008 gestärkt und verfügen im Großen und Ganzen über gute Liquiditätsquoten. Der Trend sinkender Einlagen besteht jedoch fort, wodurch die Finanzierungskosten vieler Banken steigen.

Es gab auch Enttäuschungen, darunter die Konjunkturabschwächung in China, nachdem die Entwicklung zu Jahresbeginn nach dem Ende der Null-Covid-Politik noch vielversprechend ausgesehen hatte. Die Aufhebung der Beschränkungen reichte allerdings für die dauerhafte Rückkehr des Vertrauens nicht aus. Die chinesischen Behörden werden jedoch nicht untätig bleiben, und Stützungsmaßnahmen für KMU und Kommunen sind wahrscheinlich. 

Und es gab auch positive Entwicklungen. So schwächte sich die Teuerung etwas ab, vor allem bei den Energiepreisen. Die europäischen Ausgaben für Energieimporte, die sich im vergangenen Jahr verdoppelt hatten, sanken wieder auf ein historisches Standardniveau. Die Lieferengpässe im internationalen Handel aufgrund gestörter Lieferketten gehen zurück. 

Letztendlich ist die Bilanz gemischt, die Situation lässt sich mit dem sprichwörtlichen Glas vergleichen, das je nach Standpunkt als halb leer oder halb voll wahrgenommen wird. Für die Wahrnehmung des Glases als halbleer sind besonders die schwachen Wirtschaftsaussichten ausschlaggebend. Die Konsenserwartungen für das globale Wachstum liegen für das kommende Jahr bei ca. 2,5 % und haben damit seit Jahresbeginn nur leicht zugenommen (Grafik). Das gleiche Bild zeigt sich bei den Prognosen von IWF und OECD, die für 2023 eine Wachstumsrate zwischen 2,5 % und 3 % und für 2024 nur wenig mehr erwarten. Ein normaler Wachstumstrend liegt in der Regel um einen Punkt höher, und die Schwelle für den Eintritt in eine Rezession liegt nur einen Punkt darunter. Die Weltwirtschaft befindet sich also nach wie vor in einem fragilen Zustand. In Europa war in den letzten zwei bis drei Quartalen sogar eine Stagnation des realen BIP zu beobachten. Deutschland schnitt aufgrund der Flaute in Industrie und Baugewerbe sogar etwas schlechter ab als der Durchschnitt, die Mittelmeerländer schlugen sich unterstützt durch die Erholung des Tourismus etwas besser, Frankreich liegt in der Mitte. Alles in allem nichts, was Begeisterung hervorruft. 

Bei Wahrnehmung des Glases als halbvoll wird stattdessen die hohe Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft trotz der zuletzt zahlreichen Schocks gewürdigt. Schließlich hätte man angesichts des Auftragsrückgangs bei einigen Unternehmen befürchten können, dass diese Neueinstellungen verschieben oder sogar Stellen in großem Umfang abbauen. So wie man es aus Rezessionen kennt. Zwar gibt es tatsächlich Anzeichen für eine Zurückhaltung bei den Einstellungen, aber die Entwicklungen sind nicht dramatisch. Die hohen Margen sorgen dafür, dass die Beschäftigungszahlen stabil bleiben. Bei den privaten Haushalten war die Furcht vor Arbeitslosigkeit selten so niedrig. Diese Situation begünstigt den Konsum, da die Verbraucher den Kaufkraftschock besser verkraften. 

Welche Risiken gilt es, in den nächsten Monaten im Blick zu behalten? Zum einen bleibt das geopolitische Klima angesichts des Krieges zwischen Russland und der Ukraine sowie der Spannungen zwischen den USA und China im Kampf um die weltweite Technologieführerschaft äußerst angespannt. Die daraus resultierende Unsicherheit ist weder für einen dynamischen Handel noch für das Wirtschaftswachstum förderlich.

Und zweitens muss man auf eventuelle zeitversetzte Auswirkungen des monetären Schocks achten. Bisher hat die Weltwirtschaft den starken Anstieg der Zinssätze überstanden, es ist jedoch weiterhin Vorsicht geboten. Es dauert immer eine gewisse Zeit, bis härtere Finanzierungsbedingungen auf die Nachfrage von privaten Haushalten und Unternehmen durchschlagen. Kredite sind knapper und vor allem teurer als früher. Die Auswirkungen sind bereits im Immobiliensektor spürbar, wo ein Rückgang von Kreditvergabe, Nachfrage und Preisen zu beobachten ist. Es steht zu befürchten, dass auch andere Sektoren in Mitleidenschaft gezogen werden, was zu einem Anstieg der Insolvenzen führen und sich so auch auf Beschäftigung und Konsum auswirken würde.

Die Zeichen zunehmender Fälle von Zahlungsverzug, die in den vergangenen Wochen im Unternehmenssektor zu beobachten waren, lassen insgesamt einen Anstieg der Risiken erwarten. Mit Blick auf 2024 ist dank abnehmender Teuerung dagegen mit einer Verbesserung der Konjunkturaussichten zu rechnen.

 

 

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