Neueste News
Europa sucht hoffnungslos nach Wachstum
Bruno Cavalier – Chefökonom ODDO BHF
WESENTLICHE PUNKTE:
- Nach einem passablen Jahresbeginn zeigt die europäische Wirtschaft Anzeichen von Schwäche.
- Die Erholung ist aufgrund der Schwierigkeiten in Deutschland und Frankreich gefährdet.
- Deutschland hat massive Handelsüberschüsse, aber sein kumuliertes Wachstum über fünf Jahre ist null.
- Nach Jahrzehnten der Leugnung kann Frankreich die enorme Mauer seiner Staatsverschuldung nicht mehr ignorieren.
- Vor dem Hintergrund der Desinflation sollte die EZB ihre geldpolitische Umarmung weiter lockern.
In den Jahren 2022 und 2023 überlebte die europäische Wirtschaft den dreifachen Schock der Gaskrise, des Anstiegs der Verbraucherpreise und der beispiellosen Verschärfung der Zinssätze. Zu Beginn dieses Jahres schienen die Weichen für eine Erholung der Eurozone gestellt zu sein. Trotz des anhaltenden Krieges in der Ukraine hatten sich die Energiemärkte weitgehend normalisiert. Infolgedessen war die Inflationsangst zurückgegangen. Die EZB konnte eine Lockerung der Geldpolitik in Betracht ziehen, sobald sich der Preisanstieg wieder normalisiert hatte. Die drei negativen Schocks hatten sich also abgeschwächt.
Was wurde aus den Hoffnungen auf eine Erholung? Bis zum Frühsommer 2024 entwickelten sich die Wirtschaftsdaten in die gewünschte Richtung. In der ersten Jahreshälfte wuchs das reale BIP der Eurozone mit einer jährlichen Wachstumsrate von 1%. Nach achtzehn Monaten, in denen die Aktivität fast stagnierte, ist dies ein deutlicher Fortschritt. Allerdings ist dieses Tempo noch weit von dem Trend vor der Präpandemie entfernt (1,9%). Auch im Vergleich zu den USA im selben Zeitraum (2,2%) ist es schwach - Grafik 1.
Bei näherer Betrachtung ist das Fundament dieser beginnenden Erholung aus unserer Sicht nicht solide genug. Zunächst einmal zeigen die Geschäftsklimaindizes große Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren. Die Industrie, die normalerweise im Zyklus an der Spitze steht, bleibt schwach, während die Dienstleistungen weiterhin vom Ende des Aufholprozesses nach der Pandemie getragen werden. Per Definition ist ein Aufholprozess nach einem exogenen Schock nicht von Dauer.
Zweitens ist zu beachten, dass die beginnende Erholung in ihren Komponenten unausgewogen ist. In der ersten Jahreshälfte wurde das Wachstum vor allem von starken Exporten getragen, während die Nachfrage der Haushalte und Unternehmen zurückging. Die Verbraucher sind seit einigen Quartalen etwas zuversichtlicher, aber sie sind nicht ausgabefreudiger geworden. Im Gegenteil, den Eurostat-Daten zufolge stieg die Sparquote der Haushalte seit dem Frühjahr 2022 wieder an und lag Mitte 2024 bei 15,7% des verfügbaren Einkommens, etwa 3 Prozentpunkte über dem Normalwert. Die Investitionsquote, d.h. die Anzahl der Immobilienkäufe, ist in den letzten zwei Jahren um mehr als einen Prozentpunkt gesunken.
Eine dritte Quelle der Anfälligkeit ist die zunehmende Divergenz zwischen den Ländern. Es ist klar, dass Europa nicht aus Ländern mit dem gleichen Produktionsapparat oder den gleichen Spezialisierungen besteht. Abweichungen sind unvermeidlich und haben keine großen Auswirkungen. Ab einem gewissen Punkt kann dies Fragen über die Kalibrierung der Wirtschaftspolitik und den Zusammenhalt der Zone aufwerfen.Vor mehr als zehn Jahren konzentrierten sich die Schwächen auf die südlichen Länder, die unter der Last ihrer öffentlichen und privaten Schulden erstickten. Der Euro hätte ohne das entscheidende Eingreifen der EZB untergehen können. Dieses Mal ist das Problem ein ganz anderes. Südeuropa (Italien, Spanien, Portugal, Griechenland) verzeichnet ein robustes Wachstum - Grafik 2. Die Schwäche betrifft die Schwergewichte des europäischen Kontinents, Deutschland und Frankreich. Lassen Sie uns ein Wort zu diesen beiden Fällen sagen.
In Deutschland ist das Niveau der wirtschaftlichen Aktivität heute genau so hoch wie vor fünf Jahren. Dies ist ein verlorenes halbes Jahrzehnt. Das deutsche „Modell“, das in den Jahren 2000 und 2010 dank der Integration in den Welthandel so erfolgreich war, stößt an seine Grenzen. Die Produktionskosten sind gestiegen, insbesondere aufgrund der Energiekrise, die die Anfälligkeit des gewählten Mixes (übermäßiger Einsatz von russischem Gas) gezeigt hat. Gleichzeitig ist China, dass die Nachfrage nach Fertigwaren ankurbelte, zu einem erstklassigen Konkurrenten geworden. Der Sektor der Elektrofahrzeuge ist ein typisches Beispiel dafür. Allerdings ist die Haushaltslage in Deutschland solide, was theoretisch einen großen Spielraum für Reaktionen bietet.
Frankreich kann dies nicht von sich behaupten. Die Schwäche der öffentlichen Finanzen ist nicht neu, da der letzte Haushaltsüberschuss in den 1970er Jahren erzielt wurde. Eine unerwartete Verschlechterung trat jedoch im Jahr 2024 ein. Ursprünglich hatte die Regierung ein Haushaltsdefizit von 4,4% des BIP angestrebt. In Wirklichkeit wird die Zahl über 6% liegen. Die politischen Unruhen, die durch die vorgezogenen Wahlen und das monatelange Fehlen einer echten Regierung verursacht wurden, waren nicht hilfreich, aber das Problem liegt tiefer. Es ist Ausdruck einer natürlichen Neigung zu öffentlichen Ausgaben. Infolgedessen ist die Steuerbelastung übermäßig hoch. Die Regierung hat einen restriktiven Haushalt für 2025 vorgelegt (vor allem durch Steuererhöhungen), was sich negativ auf die Wachstumsaussichten Frankreichs auswirken wird.
Was bleibt also von den Hoffnungen auf eine Erholung übrig? Zunächst einmal ist es bemerkenswert, dass die Desinflation schneller voranschreitet, als von der Zentralbank erwartet. Die Inflationsrate ist in der Eurozone wieder unter die kritische Schwelle von 2 % gefallen (1,8 % im September). Die Aussichten für die Verkaufspreise der Unternehmen sind wieder auf ihren normalen Trend vor dem Schock zurückgekehrt. Disinflation ist ein starker Faktor, um die Ausgabenkapazität der Haushalte nach mehreren Jahren der Kompression wieder herzustellen. Wenn die Haushalte nicht mehr (oder weniger) um ihre Kaufkraft fürchten, ist es nicht unvernünftig, einen Rückgang der Sparquote zu erwarten.
In diesem Umfeld gibt es für die EZB gute Gründe, ihre geldpolitischen Maßnahmen zu überprüfen. Die Politik wurde im letzten Jahr zu einem Zeitpunkt sehr restriktiv gestaltet, als die Desinflation nicht gesichert war. Jetzt sollten die Leitzinsen viel niedriger sein. Die EZB hat ihre Politik in diesem Jahr bereits mehrfach gelockert. Sie muss aus unser Sicht diesen Weg fortsetzen, um die ersten Anzeichen einer Erholung auf dem Kreditmarkt zu festigen und zu verstärken.
Wichtige Hinweise
Dieses Dokument wurde von der ODDO BHF SE nur zu Informationszwecken erstellt. Darin enthaltene Äußerungen basieren auf den Markteinschätzungen und Meinungen der Autoren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Diese
können sich abhängig von den jeweiligen Marktbedingungen ändern. Weder dieses Dokument noch eine in Verbindung damit gemachte Aussage stellt ein Angebot, eine Aufforderung oder eine Empfehlung zum Erwerb oder zur
Veräußerung von Finanzinstrumenten dar. Etwaig dargestellte Einzelwerte dienen nur der Illustration. Einzelne Aussagen sind weder dazu geeignet noch dazu bestimmt, eine individuelle anleger- und anlagegerechte Beratung durch
hierfür qualifizierte Personen zu ersetzen. Bevor in eine Anlageklasse investiert wird, wird dringend empfohlen, sich eingehend über die Risiken zu erkundigen, denen diese Anlageklassen ausgesetzt sind, insbesondere über
das Risiko von Kapitalverlusten.
ODDO BHF
ODDO BHF SE · Gallusanlage 8 · 60323 Frankfurt am Main · Postanschrift: 60302 Frankfurt am Main ·
www.oddo-bhf.com Vorstand: Philippe Oddo (Vorstandsvorsitzender) · Grégoire Charbit · Joachim Häger ·
Christophe Tadié · Benoit Claveranne . Alexander Ilgen . Vorsitzender des Aufsichtsrats: Werner Taiber · Sitz: Frankfurt am Main.
Registergericht und Handelsregister Nummer: Amtsgericht Frankfurt am Main HRB 73636 USt-IdNr. DE 814 165 346 · BIC/SWIFT
BHFBDEFF500 - www.oddo-bhf.com